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Bergsommer (1.Etappe)

Von Meereshöhe aus 500 Kilometer auf meinen Hausberg

500 Kilometer und 2904 Höhenmeter schiessen wie eine unüberwindbare Mauer vor mir empor. Zu Fuss möchte ich meinen Hausberg von Meereshöhe aus besteigen. Mit dem Zug würde ich das bequem in wenigen Stunden schaffen, denke ich mir - doch das kann ja jeder.

Antoine de Saint - Exupéry schrieb einmal: „Wir retten uns, indem wir einen Schritt machen. Dann einen weiteren Schritt. Es ist immer der gleiche Schritt, aber wir müssen ihn machen.“ Auch ich mache jetzt meine ersten Schritte Richtung Heimat. Es ist merkwürdig und faszinierend zugleich. Ich habe noch tausende von Schritte vor mir und doch sind diese ersten paar Schritte etwas ganz Besonderes. Sie sind der Anfang von meinem Ziel, und das Ziel wird mein Weg sein, all die Höhenmeter hinauf, bis ich auf dem Vrenelisgärtli thronen mag.

Kurz nach der Hafenstadt Genua befinde ich mich mitten in einem Naturparadies. Einsame Wanderwege, erfrischende Meereswinde und tanzende Schmetterlinge lassen mich verzaubern. Doch bereits am Abend ist es schlagartig aus mit der Herrlichkeit. Die Last auf den Schultern und Füssen ist enorm. Bereits nach den ersten 50 Kilometer merke ich, dass ich dieser Belastung nicht standhalten werde. Ich musste eine Lösung finden, sonst wird mein Abenteuer bereits Morgen zu Ende sein.

Es bleibt mir nichts anderes übrig, als meine geplante Wanderroute auf Fahrradwege zu verlegen, wo ich meinen Rucksack auf dem Skateboard hinterherziehen kann. Verwandle grosse Schwierigkeiten in kleine und kleine in gar keine, denke ich mir und schreite zuversichtlich weiter. Schon bald befinde ich mich in der Lombardei und folge dem Ticino Richtung Schweiz. Ich bin in meinem Element und die Kilometer schmelzen dahin.

Doch trotz Hightech Ausrüstung schmerzen mir die Füsse mit jedem Tag mehr. Seit fünf Tagen absolviere ich bereits eine Etappe nach der anderen. Über 60 Kilometer und bis zu 15 Stunden bin ich täglich unterwegs. Mit jedem Schritt lasse ich meine Bequemlichkeit weiter hinter mir und erweitere meine körperlichen Grenzen mehr und mehr. Ich muss mich konzentrieren. Mein Fokus reduziert sich auf den Bewegungsablauf meiner Beine. Jetzt bin ich neugierig, wer stärker ist: Ich oder ich. Und so gehe ich weiter. Schritt für Schritt - immer weiter und weiter.

Nach einer Woche erreiche ich meinen Wohnort Mollis. Eine Schlechtwetterfront mit Starkregen und Schneefall versperrt mir den weiteren Weg zum Gipfel. Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung warnt vor erheblichen Lawinengefahr auf unter 3000 Meter. Damit wäre ein sichererer Aufstieg auf den Gipfel in meinem ermüdeten Zustand viel zu riskant.

Endlich, nach fast einer Woche kündigt sich eine Wetterbesserung an und ich kann mich auf den Weg zum Gipfel machen. Noch regnet es und erste Zweifel machen sich breit, ob ich am nächsten Tag mit dem Gleitschirm zurück ins Tal fliegen kann oder mühsam absteigen muss.

Am nächsten Tag staut sich noch immer ein dickes Wolkenband an den Bergen. Kein gutes Zeichen. Denn ohne freie Sicht ins Tal wäre ein Gleitschirmflug viel zu gefährlich. Wenigstens regnet es nicht mehr, und so mache ich mich zusammen mit Freunden von der Gleitschirmschule auf den Weg zum Gipfel.

Drei Stunden später ist es geschafft. Von Meereshöhe aus habe ich jeden einzelnen Höhenmeter meines Hausberges bezwungen. Ein unscheinbarer Berg, der für mich zur ultimativen Herausforderung wurde. Während ich meinen Blick in die Ferne schweife lösen sich die Wolken langsam auf. Ich starte meinen Gleitschirm und verlasse das Element Erde.

In den nächsten zwei Wochen werde ich meine Heimat mit dem Gleitschirm erkunden gehen. Denn zu Hause, vor meiner eigenen Haustüre, gibt es so viel Schönes. Ich muss nur die Tür öffnen und hinausschreiten. Das Element Luft wartete auf mich.

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